Mit dem Brompton auf den Spuren des Giro d'ltalia
Wolfgang A. Leidigkeit
Gedenktafel am Passo Pordoi
"Was ist denn das für ein Fahrrad?" "Können Sie mir mal zeigen, wie das geht?" "Das ist ja witzig!" "Ist ja ganz nett, aber kann man denn damit richtig fahren?" "Diese kleinen Räder, das ist doch allenfalls etwas für kurze Strecken!" - Szenen aus dem Leben eines Brompton-Fahrers.
Ich gebe zu, als ich den Winzling das erste Mal in einem Fahrradladen sah, hatte auch ich nur ein mildes Lächeln für ihn übrig. Nichts war mir fremd. Hollandrad, Rennrad, Trekkingrad, Mountainbike, ja selbst Liegerad war ich schon gefahren. Aber zu Klapprädern fiel mir nur ein Fahrrad meines Vaters ein - kompliziert auf- und abzubauen und ein absolut indiskutables Fahrverhalten.
Fahren, wie mit den "großen Brüdern"
Trotzdem schaffte es der Fahrradhändler, meine Neugier zu wecken, indem er das Fahrrad in kürzester Zeit auf- und wieder abbaute und zwar ohne das Rad auch nur im Geringsten in Einzelteile zerlegen zu müssen. Die Tatsache, dass das Fahrrad keinen Ständer benötigt, weil es auf dem eigenen Gepäckträger abgestellt wird, fand ich ebenso witzig wie technisch brillant.
Dass man mit dem Brompton "normal" fahren kann, konnte ich mir dennoch nicht wirklich vorstellen. Eine erste Probefahrt brachte mich ins grübeln. Trotz der kleinen 16-Zoll-Laufräder kam ich sowohl auf Altstadtkopfsteinpflaster als auch im Gelände problemlos zurecht. Der Gummiblock-gefederte Hinterbau und die geniale Rahmengeometrie trugen auf angenehme Weise dazu bei, dass Rücken und Gesäß geschont wurden.
Neugierig geworden, lieh mich mir das Bike für ein Wochenende aus, um die nächste erstaunliche Erfahrung zu machen: Tagestouren von bis zu 100 km waren ebenso leicht zu bewältigen wie mit einem Tourenrad.
Ein idealer Begleiter
Einen weiteren Vorteil lernte ich nach dem Kauf des Winzlings kennen: Das Brompton ist ein idealer Begleiter auf Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Versehen mit einer Hülle kann man es problemlos wie einen Koffer transportieren. Das Fahrrad landet einfach in der Gepäckablage. Lästige Diskussionen mit dem Schaffner ("Darf ich mal Ihre Fahrradkarte sehen?"), gehören der Vergangenheit an. Am Zielbahnhof angekommen, baut man das Velo in kürzester Zeit auf (mit ein wenig Übung schafft man das in knapp 15 Sekunden) und radelt munter los.
Die als Zubehör erhältliche Aktentasche, die mit einem Klickverschluss am Steuerrohr des Fahrrades befestigt wird, sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch groß genug, um Aktenordner und Ähnliches zu transportieren. So wird das Brompton zum schicken Begleiter auf Geschäftsreisen, das vor Ort für viele interessante Diskussionen sorgt.
Erinnern Sie sich noch an die ersten Sätze dieses Artikels? Das ungläubige Staunen meiner Mitmenschen fing an zu nerven - trotz all ihrer Begeisterung für mein neues Verkehrsmittel. Wie konnte ich sie am besten davon überzeugen, dass das Fahrrad nicht nur witzig, sondern auch in jeder Beziehung alltagstauglich ist? Etwas Spektakuläres musste her!
Ab in die Berge
Ich entschloss mich zu einem scheinbar unmögliches Unternehmen - nämlich mit einem serienmäßig ausgestatteten Faltfahrrad die so genannte Sellarunde, in der sich vier Dolomitenpässe aneinanderreihen, zu befahren. Außer dem Generalimporteur des Fahrrades und mir glaubte wohl kaum jemand an das Gelingen meines Vorhabens. So wurde ich denn auch mit entsprechendem Spott verabschiedet.
Zur Vorbereitung auf die Sellarunde und um mich an die Höhe zu gewöhnen, fuhr ich zuerst eine eher harmlose Strecke - von Toblach (1209 m) nach Misurina, auf den 1756 m hoch gelegenen Col Sant´Angelo.
Die ersten 13 Kilometer steigen nur mäßig an und eignen sich hervorragend zum "einrollen". Dann hört das Vergnügen jedoch schlagartig auf. Die nächsten 5 Kilometer geht es steil bergan (zwischen 8 und 12%). Daher war ich nicht wenig erstaunt, als ich die Passhöhe ohne Pausen oder gar schieben zu müssen erreicht hatte. Meine These, dass man mit diesem Faltrad auch Alpenpässe befahren könne, war damit bewiesen.
Der Lago di Misurina
Auf den Spuren des Giro
Ein für die Jahreszeit ungewöhnlicher Wettersturz mit Schneefällen machte das Passieren des Grödner- und Sellajochs mit einem konventionell ausgestatteten Fahrrad leider unmöglich. Mein Hauptziel, die komplette Sellarunde zu fahren, war daher nicht zu verwirklichen.
Zum Glück war jedoch der Passo Pordoi befahrbar. Von Arabba (1580 m) aus fährt man über 33 Kehren auf die 2239 m hoch gelegene Passhöhe. Die Steigung beträgt zwar "nur" zwischen 8 und 9%. Dafür sind jedoch 9 km Strecke zu bewältigen.
Als mein Zimmerwirt sah, mit was für einem Fahrrad ich den Pass befahren wollte, erklärte er mich für verrückt. Ich wisse wohl nicht, dass die Strecke wiederholt zum Giro d'Italia gehört habe. Ein Grund mehr, es zu versuchen, dachte ich mir, und begann bei wolkenverhangenem Himmel meinen Aufstieg.
Der Passo Pordoi
Nach vier Pausen - und zugegeben reichlich ausgepowert - erreichte ich die Passhöhe. Der wunderschöne Blick auf die Gipfel ringsum, sowie das Bewusstsein, etwas ziemlich Verrücktes geschafft zu haben, entschädigten die Mühen reichlich.
Nicht zur Nachahmung empfohlen
Die Abfahrt zurück nach Arabba gestaltete sich, ebenso wie bereits die Abfahrt vom Col Sant' Angelo, als schwierig. Die Bremsen des Brompton sind schlichtweg nicht für lange Abfahrten ausgelegt.
Anmerkung der Bromptonauten: Seit 2000 verfügt das Brompton über deutlich bessere Bremsen. Auch die Umrüstung auf V-Brakes ist nicht unmöglich - Hinweise dazu gibt es unter Umbauten.
Trotz aller Begeisterung kann ich nur bedingt zur Nachahmung der Tour raten. Renn- und Trekkingräder sind für Touren in den Bergen sicherlich geeigneter als ein Faltrad. Bei meinem Experiment ging es auch nicht darum, zu Extremtouren zu animieren. Ich wollte lediglich den Beweis antreten, dass das Brompton-Bike ein so außergewöhnlich gutes Faltfahrrad ist, dass mit ihme selbst Touren in den Alpen möglich sind. Die Alltagstauglichkeit, die bedingt durch die kleinen Laufräder häufig angezweifelt wird, dürfte mit meiner Tour mehr als deutlich unter Beweis gestellt worden sein.
Zu (nicht vorhandenen) Risiken und (süchtig machenden) Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Fahrradhändler oder den Generalimporteur Voss Spezialrad.
Das Fahrrad:
Serienmäßig ausgestattetes 5-Gang-Brompton T5; innerhalb von 15 Sekunden auf die Größe eines kleinen Koffers zusammenklappbar. Das Rad besitzt einen Gummiblock-gefederten Hinterbau und wiegt in der Touring-Version 13 Kg.
Dank seiner Eigenschaften ist es ein idealer Begleiter auf Reisen mit Bahn, Boot und Auto. Als Stadtrad ist es ebenfalls äußerst praktisch. Es kann zusammengeklappt jederzeit mit ins Postamt oder die Kneipe genommen werden (vermindertes Diebstahlrisiko). Auch Wochenendausflüge sind möglich. Man kann problemlos mit Fahrern konventioneller Räder mithalten.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang A. Leidigkeit. Text: © Wolfgang A. Leidigkeit 1995/2003. Alle Rechte vorbehalten.
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